Dienstag, 5. Oktober 2010

Der Baron und der Löwe

Er ist ein wortgewaltiger stattlicher Herr und wohnt in einem Haus aus Zeiten der Jahrhundertwende. Ehemals Arbeiterkaserne, lange scheinbar unbeachtet, halb zersetzt. Doch von solchen wie ihm besetzt. Durchsetzt auch. Und schlussendlich Straße für Straße versetzt an die Investoren aus dem kapitalistischen Ausland. Nein, es ist ja kein Ausland mehr. Er wohnt jetzt in Großberlin, ehemals Berlin-Ost, Bezirk Pankow, wo er lange Zeit der Jugend- und Kulturarbeit frönte und nun seine Rente auf die Köppe verteilt, die ihm lieb sind.
Die Sonne fällt schräg in die Fassadenschlucht, als er an jenem Vormittag aus dem großen Tore auf die Straße tritt. Er geht die Straße südwärts hinab, weg von der großen lauten, hinein in den beschaulicheren Kiez und in seine Stammkneipe, die um 11 Uhr öffnet. Die Tür quietscht auch an diesem Morgen zuverlässig ihr Lied. Drinnen ist es noch still. Kein Stimmgewirr und auch keine Musik. Er begrüßt überschwänglich seinen Freund, den Wirt. Ein Frühstück, Rührei, Brot, ordentlich Butter, Wurst und ein Klecks Marmelade, zum Abessen. Kaffee, eine halbe Kanne. Danach einen Cognac, den guten, für die Tabletten. Er wirft den Kopf in den Nacken. Noch einen, bitte. Und raucht. Zwei Stunden, dann hat er Tagesform erreicht. Der Baron ist ein Roter, mit Schmidtmütze. Er ist noch nicht so alt wie die, die sie meistens tragen. Ist noch nicht so alt wie die Alten, die Sozis drüben oder die Genossen aus der Zone, unter denen es einige gibt, von denen man denken könnte, ihr Repertoire an Traumata wolle gar nicht enden. [...]

1 Kommentar:

  1. Ich mag das. Ich mag das sehr, auch mal Sachen von dir zu lesen, die sich nicht reimen und doch keine KeinGedichte sind. Es klingt vielversprechend, sparsam mit Worten, doch nicht mit Inhalt. Ich bin gespannt.

    AntwortenLöschen